Fast 800 offene Haftbefehle: Wo sind all die Neonazis hin?

Es ist ein leichter Rückgang, doch insgesamt steigt die Zahl der gesuchten Rechtsextremen seit Jahren. Die Linke fordert mehr Fahndungsdruck.

Protestierende gegen Rechtsextremismus in Niedersachsen

Haben auch etwas gegen Rechtsextreme: Demonstrierende in Südheide in Niedersachsen Foto: Georg Wendt, dpa

BERLIN taz | Sie werden gesucht wegen Diebstählen oder Betrugsdelikten, aber auch wegen politisch motivierten Gewalttaten. Die Zahl der Rechtsextremen, die mit offenen Haftbefehlen gesucht werden, liegt weiter auf hohem Niveau. Zum jüngsten Stichtag am 29. September 2023 gab es bundesweit 776 Haftbefehle gegen insgesamt 597 Personen. Das geht aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Linken-Anfrage im Bundestag hervor.

Damit liegt die Zahl hinter der vom Herbst 2022, als es 915 offene Haftbefehle gegen 674 Personen aus dem rechten Spektrum gab – der bisherige Höchststand. Bis dahin waren die Haftbefehle über die Jahre immer weiter angestiegen: 2012 lag die Zahl der Gesuchten noch bei 266. Die Zahlen sind Momentaufnahmen zum jeweiligen Stichtag, der halbjährlich abgefragt wird.

Die aktuell offenen Haftbefehle betrafen in 27 Fällen ein politisch motiviertes Gewaltdelikt. Eine terroristische Tat war nicht darunter, auch kein Gefährder war gesucht. 132 weitere Haftbefehle waren offen, weil anderweitig rechte Straftaten verübt wurden, wie Volksverhetzung oder das Verwenden von verfassungswidrigen Kennzeichen. Die restlichen Haftbefehle betrafen Delikte der Allgemeinkriminalität.

Bei 18 Personen gab es Erkenntnisse, dass diese sich in Polen aufhielten, 12 sollen in Österreich gewesen sein und sieben in der Schweiz. Ein Haftbefehl war bereits seit zehn Jahren offen, insgesamt 104 waren es seit immerhin zwei Jahren.

Ministerium beteuert „Nachdruck“ bei Fahndungen

Gestellt wurde die Anfrage von der Linken-Abgeordneten Martina Renner. Sie fordert mehr Anstrengungen, um die gesuchten Rechtsextremen zu fassen. „Der Verfolgungsdruck auf die Szene muss in der Fläche dauerhaft und auch im Ausland erhöht werden“, sagte Renner der taz. Sie erinnerte an die beiden Maßnahmenpakete von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, mit denen diese rechtsextreme Netzwerke zerschlagen und Demokratiefeinde bekämpfen will.

„Konsequentes Vorgehen würde bedeuten, dass das Innenministerium die eigene Priorisierung ernst nimmt und wegen Gewaltdelikten gesuchte Nazis rigoros verfolgt“, betonte Renner. „Frau Faeser wiederholt mantrahaft ihre Maßnahmen und Aktionspläne gegen Rechts und vermeintliche Erfolge. Die Realität aber entwickelt sich in die genau entgegengesetzte Richtung.“ Beim Vergleich auf lange Sicht zeige sich ein deutlicher Anstieg der Zahlen.

Das Innenministerium beteuert in seiner Antwort dagegen, dass in allen Fällen Fahndungsmaßnahmen veranlasst wurden. Bei Gewaltdelikten seien die Fälle auch im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum besprochen worden. Außerdem seien von März 2022 bis September 2023 insgesamt 392 Haftbefehle vollstreckt worden. Das zeige, dass die Polizei die Fahndungen „mit Nachdruck und erfolgreich“ durchführe. Zur gleichen Zeit kamen aber bereits neue Haftbefehle hinzu.

Die Linken-Abgeordnete Renner verwies auch darauf, dass laut Innenministerium zuletzt 244 Haftbefehle gegen 179 Reichsbürger gezählt wurden und 621 Haftbefehle gegen 449 Personen im Bereich „Sonstige Zuordnung“, in die etwa Coronaprotestierende fallen. Zusammen mit diesen Zahlen erhöhe sich die Gesamtzahl der gesuchten Personen aus dem rechten Spektrum „nochmals drastisch“, so Renner.

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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