Seenotretterin über Gerichtsprozess: „Das hat Menschenleben gekostet“

Am Freitag entscheidet sich, ob der bisher größte Prozess gegen See­not­ret­te­r:in­nen eingestellt wird. Kathrin Schmidt ist eine der Angeklagten.

Vollbesetzte Flüchtlingsboote und im Meer schwimmende Menschen sind am 15.04.2017 rund 20 Meilen vor der Küste von Libyen zu sehen.

Überfüllte Boote, Menschen treiben im Wasser: April 2017 retteten Seenotrettungsorganisationen tausende Menschen im Mittelmeer Foto: iuventa/picture alliance

taz: Frau Schmidt, an diesem Freitag entscheidet sich, ob ein seit 2017 laufendes Vorverfahren gegen Sie und andere See­not­ret­te­r:in­nen von „Jugend rettet“, „Save the Children“ und „Ärzte ohne Grenzen“ wegen angeblicher Beihilfe zur illegalen Einreise endet. Wie geht es Ihnen gerade?

Kathrin Schmidt: Ich bin zuversichtlich, dass diese Odyssee bald vorbei ist. Wir haben für den Prozesstermin mobilisiert, es kommen Freund:innen, Menschen, die uns solidarisch begleitet haben. Wir würden den Moment gern teilen.

Worauf gründet Ihre Zuversicht?

Die Aussagen der drei Zeugen im Februar war wohl ausschlaggebend dafür, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren nicht fortführen will. Allerdings haben wir über die Jahre so viele absurde Dinge erlebt, dass die Forderung der Staatsanwaltschaft dann doch überraschend für uns kam.

Was haben die Zeugen gesagt?

Es handelt sich um Ex-Polizisten, die als Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma an Bord der „Vos Hestia“ waren, einem Rettungsschiff der NGO Save The Children. Der Besitzer ihrer Sicherheitsfirma hat Beziehungen zur Identitären Bewegung in Italien. Die Anklage gegen uns baute darauf auf, dass diese Zeugen Dinge gesehen haben wollen, die gar nicht passiert sind.

Unter anderem wurde behauptet, dass Sie mit libyschen Schleppern zusammengearbeitet hätten.

Die drei konnten sich im Februar an nichts erinnern, was sie früher behauptet hatten, konnten weder klären noch beschreiben, was sie damals gesehen haben wollen. Was mich so richtig wütend macht ist, dass alles mindestens fünf Jahre früher hätte passieren können. Alle Infos, mit denen die Staatsanwaltschaft ihre Entscheidung jetzt begründet, waren von Beginn an bekannt.

war Teil der Crew des Seenotrettungsschiffs „Iuventa“, die derzeit in Italien vor Gericht steht. Am Freitag könnte das Verfahren eingestellt werden.

Wie sicher ist, dass der Richter dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgt?

Es gibt die sehr unwahrscheinliche Möglichkeit, dass er die Hauptverhandlung durchziehen will. Das wäre schockierend und ein Beleg für großen politischen Druck.

Ein Vertreter des Innenministeriums war beim letzten Verhandlungstermin dabei und hat nicht darauf bestanden, dass es eine Hauptverhandlung geben soll.

Wenn selbst der Staatsanwaltschaft die Argumente ausgehen, dann kann im Gerichtsaal auch das Innenministerium nicht argumentieren, warum es weitergehen sollte. Trotzdem ist die Regierung ja eine treibende Kraft der Kriminalisierung, die nicht nur uns trifft, sondern systematisch hauptsächlich Geflüchtete. Dass das Ministerium letztlich nicht auf einer Hauptverhandlung bestanden hat, ist kein Indiz dafür, dass es keinen politischen Druck im Hintergrund bei diesem Vorverfahren gibt.

Das Vorverfahren läuft seit fast sieben Jahren. Was war für Sie in dieser Zeit wichtig?

Für uns war wichtig, uns nicht einschüchtern zu lassen. Das ist uns gelungen. Wir konnten wenigstens ein klein wenig Aufmerksamkeit dafür zu schaffen, wie die Kriminalisierung läuft, wen sie betrifft und dass es in diesem Rahmen keine fairen Prozesse gibt. Dabei waren wir in einer sehr privilegierten Situation: Wir haben sehr viel Solidarität erfahren, konnten uns die besten An­wäl­t:in­nen und eigene Über­set­ze­r:in­nen leisten, es kamen internationale Prozessbeobachter:innen.

Wie viel hat Sie dieser Prozess bisher gekostet?

Der Preis lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Das geht weit über alles Materielle hinaus, auch wenn uns die Verteidigung natürlich Unsummen gekostet hat. Aber es waren eben auch Menschenleben, die verloren gingen, weil Rettungen nicht durchgeführt werden konnten. Wir hatten ein perfekt ausgestattetes Rettungsschiff, das 2017 beschlagnahmt wurde. Das ist jetzt ein Haufen Rost. Save The Children hat sich komplett aus der Seenotrettung zurückgezogen.

Gab es nicht auch einen gegenteiligen Effekt – eine stärkere Solidarisierung?

Die Zivilgesellschaft hat der Repression unglaublich viel entgegengesetzt. Dafür bin ich sehr dankbar. Aber die Solidarität, die für uns so deutlich spürbar war, heißt ja nicht, dass Repression nicht trotzdem weiter wirkt. Kriminalisierung und Solidarisierung sind starke Gegensätze, die sich aber nicht aufheben.

Welche konkreten Folgen hatte das Verfahren für Sie?

Es gab einige Jobs, die ich hätte machen wollen, aber aufgrund des Prozesses nicht bekommen habe. Offline-Bedrohungen gab es nicht, online mit Sicherheit schon, aber ich habe mich entschieden, mich davor zu schützen und soziale Medien nicht zu konsumieren.

Hat der Prozess Sie daran gehindert, sich weiter in der Seenotrettung zu engagieren?

Nein. Ich habe seitdem bei zwei anderen NGOs gearbeitet und unter anderem Rettungen koordiniert, derzeit leite eine Abteilung für Rettungsboote. Die anderen Angeklagten haben auch weitergemacht.

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