Neues Förderkonzept in Hamburg: Jedes Kind kann Mathe lernen

Ein Fünftel aller Kinder versteht nach der Grundschule nicht genug Mathe, um ab Klasse 5 weiter mitzukommen. In Kleingruppen holen sie das nach.

Eine Kinderhand tippt ein einen Haufen mit bunten Würfeln

Können ein sinnvolles Hilfsmittel beim Erlernen von Mathe-Grundlagen sein: Würfel Foto: westend61/Imago

HAMBURG taz | Eines von fünf Grundschulkindern kommt laut Hamburgs Schulbehörde mit so großen Lücken in Mathematik an die weiterführende Schule, dass erfolgreiches Weiterlernen kaum möglich ist. Diese Gruppe lerne von Klasse fünf bis zehn „nur wenig dazu“, das zeige sich in Lernstandserhebungen. Darum soll nun ein Förderprogramm in Kleingruppen den Kindern helfen.

Das Konzept „Mathe sicher können“ hat das Deutsche Zentrum für Lehrerbildung Mathematik (DZLM) an der TUDortmund entwickelt. Seine Einführung wurde auch in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) in Kiel in mehreren Bundesländern wissenschaftlich begleitet. In einer Feldstudie zeigte sich, dass mathe-schwache Fünftklässer, die daran teilnahmen, deutlich mehr dazulernten als eine Kontrollgruppe. In Hamburg wird „Mathe sicher können“ an 92 Schulen umgesetzt. In Bremen, wo die Lage ähnlich ist, arbeiten bereits 60 Schulen damit.

„Mathematik hat zweifellos eine große Bedeutung, für uns alle und für unsere Gesellschaft“, sagte Hamburgs Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD), als sie vergangene Woche das Konzept vorstellte. Wer hier Grundlagen nicht beherrsche, habe es nicht nur später schwer, eine Ausbildung oder ein Studium zu finden. Diese Schüler gingen auch weniger gern in den Mathe-Unterricht und entwickelten sogar ein „negatives Verhältnis“ zum Fach.

Dabei kann „jedes Kind Mathe verstehen lernen“, wie die Projektleiterin Susanne Prediger in einem Video für Eltern auf der Homepage des DZLM erklärt. „Keine Begabung gibt’s nicht“, sagt die Professorin für Fachdidaktik der Mathematik. Ihr Institut habe genau geforscht, was Kinder in der Grundschule gelernt haben müssen, um in den Klassen fünf bis zehn weiterlernen zu können.

Erst mal verstehen, was Multiplikation ist

Meistens sei das Problem, dass die Kinder etwas Entscheidendes verpasst haben. „Dann können wir nicht mehr gut weiterlernen“, sagt die Forscherin. Dabei gehe es um „Verstehensgrundlagen“. Etwa, dass man zur Vorstellung, wie groß eine drei mal fünf Meter große Fläche ist, keine Formel brauche, wenn man sich vergegenwärtige, dass sie aus drei Reihen mit je fünf Quadratmetern besteht.

Doch viele Kinder kämen in die fünfte Klasse, ohne zu wissen, was die Multiplikation bedeutet. Das stelle man fest, wenn die Kinder eine Geschichte zu einer Multiplikation wie sechs mal fünf schreiben sollen. Es sei erschreckend, wie viele keine Situation fänden, die dazu passt. Wenn den Kindern dieses Verständnis fehlt, „dann muss man da noch mal ran“, so Prediger.

Die Didaktiker nutzen dafür Bilder oder Arbeitsmaterialien. Etwa Würfelmaterial, aus dem Kinder lernen können, dass Hundert aus zehn Stangen mit je zehn Würfeln besteht. Solche Dinge zu verstehen, sei wichtig, damit die Kinder nicht im Unterricht abschalten. In der Matheförderung sei es wichtig, dass die Kinder immer wieder zum Verstehen und tiefen Denken ermuntert und zum Erklären aufgefordert würden, so Prediger. „Deswegen fördern die Lehrkräfte auch nur wenige Kinder gleichzeitig.“

In Hamburg wurde das Konzept nun ergänzt und passend für die Schulen weiterentwickelt. Um diese Arbeit durchzuführen, wurden Mathematiklehrkräfte in zweijährigen Fortbildungen zu „Mathe sicher können“-Trainern qualifiziert. Davon profitierten derzeit die Hälfte aller 59 Hamburger Stadtteilschulen und auch neun Gymnasien. Da weitere Schulen zertifiziert sind, steigt die Zahl auf 92. In Bremen wurde das Programm 2019 an zehn Oberschulen eingeführt und inzwischen auf 25 Oberschulen und 35 Grundschulen ausgeweitet.

„Mathe sicher können“ gibt's auch inklusiv

Die Linke-Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus stört sich am additiven Charakter. Sie fürchtet eine Stigmatisierung von Schülern, die aus unterschiedlichen Gründen schlechtere Startchancen haben. „Natürlich brauchen diese jungen Menschen besondere Unterstützung und Aufmerksamkeit“, sagt sie. Die Förderung müsse aber „inklusiv“, sprich gleich im Unterricht, geschehen. Das derzeitige Schulsystem übe zu viel Druck aus und befördere die Chancenungleichheit. Die Frage sei, welche Ressourcen Schulen in sozioökonomisch schwieriger Lage zur Verfügung hätten, um eine umfassende, inklusive Förderung in Mathematik zu gewährleisten.

Ein Blick auf die Homepage des Hamburger Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) zeigt, dass Hamburg im Prinzip beide Wege geht. So gibt es bereits zwei Fortbildungsangebote. „Mathe sicher können inklusiv“, für eine fokussierte Förderung im Rahmen des Regelunterrichts, und „Mathe sicher können intensiv“, um eben besagte Mathe-Risikoschüler in den Klassen fünf und sechs an Stadtteilschulen und Gymnasien in Kleingruppen außerhalb des Regelunterrichts zu fördern.

Die Frage, woher die für die Kleingruppen nötigen Lehrerstunden kommen, ist tatsächlich noch nicht ganz geklärt. Laut Schulbehördensprecher Peter Albrecht erhalten zwar 17 Stadtteilschulen in sozial herausfordernden Gebieten über das Hamburger Landesprogramm „Starke Schulen“ zusätzliche Stunden, so dass diese in der Regel in den Klassenstufen fünf und sechs eine Mathe-Fördergruppe hätten. Die übrigen Schulen erhielten bislang keine zusätzliche Förderung und müssten „Mathe sicher können“ aus eigenen Personalmitteln finanzieren. Es könne aber sein, sagt Albrecht, dass diese Kleingruppen bald über das künftige „Startchancen-Programm“ des Bundes finanziert werden.

Für Boeddinghaus ist das noch keine Lösung. Die neue Schulsenatorin Bekeris habe sich soziale Gerechtigkeit als besondere Aufgabe vorgenommen. Deshalb erwarte sie von ihr, dass sie „die Inklusion mit all ihren Facetten endlich auskömmlich finanziert“.

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