Neues Album von Balbina: Solitärin mit Soul

Die Berliner Musikerin Balbina überzeugt auf dem neuen Album „Fragen über Fragen“ mit Pompös-Pop. Ihre Skills hat sie im HipHop gelernt.

Nahaufnahme von Balbina

Auch heilsbringerisch gestylt: Balbina Foto: Jakob&Hannah/Promo

Eine Sozialisation in der harten Schule des Berliner HipHop hat schon ihre Vorteile. Schließlich lernt man dort die wirklich wichtigen Dinge des Lebens: den Kopf oben halten, sich durchboxen und – in dieser Stadt besonders wichtig – nicht jedem Hype hinterherhecheln, denn das ist schlecht für die Zunge (und für die Lunge).

Die Künstlerin Balbina, die auf der Bühne meist streng mittelgescheitelt in schweren Stoffgewändern mit Stola in Erscheinung tritt, würde man heute wohl nicht mehr mit HipHop in Verbindung bringen – zu weit entfernt davon wirkt ihr orchestraler, fast sakral anmutender Pompös-Pop, in dem Sprechgesang zwar vorhanden ist, aber nicht im Vordergrund steht.

Diese Balbina aber, die mit ihrem jüngst erschienenen Album „Fragen über Fragen“ in aller Munde ist, hat ihre Anfänge genau dort gehabt – im Umfeld des Labels Royal Bunker von Marcus Staiger.

Von dieser Zeit erzählt sie nun beim Interview in einem Café, während sie die Himbeeren in ihrer Fruchtschorle mit dem Strohhalm bearbeitet. „Es fühlte sich ganz selbstverständlich an, in diese Szene hineinzuwachsen – es gab dort keine so große Schwelle; du musstest nicht bestimmte Anforderungen erfüllen, wie ein Instrument spielen zu können. Wir haben damals alles autodidaktisch gelernt.“

Balbina: „Fragen über Fragen“ (Four Music/Sony)

Live: 28.03. Leipzig, Werk 2, 29.03. Dresden, Scheune, 30.03. Erlangen, E-Werk, 31.03 Stuttgart, Das Cann, 02.04. München, Strom, 03.04. Wien, WUK Werkstätten- & Kulturhaus, 05.04.Heidelberg, Karlstorbahnhof, 06.04. Darmstadt, Centralstation, 07.04. Köln, Luxor, 08.04.Münster, Jovel Music Hall, 10.04. Hannover, Bei Chéz Heinz, 11.04. Dortmund, FZW,12.04.Hamburg, Uebel & Gefährlich, 13.04.2017 Berlin, Heimathafen

Die heute 33-Jährige hat als Jugendliche schon Gedichte geschrieben, auch wenn sich das „komisch anhört“. Im Royal-Bunker-Umfeld hat sie gelernt, wie man Beats dazu produziert. Noch milchgesichtig und pubertär war sie seinerzeit mit K.I.Z. auf Tour.

In Warschau geboren und in Moabit und Neukölln aufgewachsen, schreibt Balbina – zunächst als Bina – seit Ende der Neunziger Texte und Songs. Erst 2011 hat sie ihr Debütalbum in Eigenregie veröffentlicht, es war eine Sammlung ihrer bis dato geschriebenen Stücke. Ein BWL-Studium wurde nach dem Vordiplom abgebrochen, seit einigen Jahren setzt sie nun voll auf die Musikerinnenkarte. 2015 veröffentlichte ihr erstes „richtiges“ Studioalbum „Über das Grübeln“. Für den Nachfolger wird sie nun zuweilen als Heilsbringerin des deutschsprachigen Pop gefeiert.

All das, was Balbina Monika Jagielska – so ihr voller Name – einst in der Subkultur aufgeschnappt hat, kann sie heute gut gebrauchen. Sie hat ihre eigene Sprache gefunden. Mit ihren poetischen Texten und ihrem Gesang – mal hauchend, mal flirrend, mal soulig, mal große Oper – polarisiert sie. Und ihre Songtitel – wie „Der Haken“, „Der Trübsaal“ und „Das Milchglas“ – erinnern ein bisschen an einen Kafka-Erzählband.

Ihr Gesang ist mal hauchend, mal ­flirrend, mal soulig, mal große Oper

Ihre Vorbilder hat Balbina, die in Schlabberklamotten im Café sitzt und im Plauderton spricht, tatsächlich aus der Literatur. „Ich habe immer gern Erich Kästner gelesen, also seine Kolumnen, seine Montagsgedichte und seine Lyrik insgesamt. Das hat einfach Witz und Ironie, ist voll auf den Punkt geschrieben. Und es hat immer einen direkten Alltagsbezug. Beeindruckend.“

Dieses Faible für verspielte Lyrik ist überdeutlich zu hören auf „Fragen über Fragen“. In „Unterm Strich“ reimt sie über das eigene Künstlerinnendasein: „Das Radio will, dass ich meine Lieder kürze/ dann kürz ich lieber mich“ und „Ich will ’ne Diktatur in meiner Musik/ ist mir egal, wie eine Band das sieht“.

Über ihre Songs sagt sie: „Gefühlt hat meine Musik auch viel vom R&B, also nicht im Sinne von Marvin Gaye, sondern von den musikalischen Elementen, die ich verwende – die perkussiven Grundschemata aus dem HipHop, die Melancholie im Gesang.“ Ihre Gesangslinien seien dagegen vom Jazz geprägt, einer ihrer Lieblingssänger sei Kurt Elling.

Von Gleichberechtigung weit entfernt

Balbina hat eine einzigartige Ästhetik geschaffen, und sie ist dazu bereit, diese erbittert zu verteidigen. Denn das, was im Mainstream gefragt ist, findet sie meist unglaublich flach und inhaltsleer – ohne dabei zu defätistisch klingen zu wollen: „Künstler neigen ja von jeher dazu, das Populäre schlechtzumachen. Aber derzeit scheinen wir in der Unterhaltungsindus­trie wirklich an einem Tiefpunkt angekommen zu sein.“

Nicht müde wird sie zu betonen, dass diese ihre Branche von Gleichberechtigung weit entfernt ist. „Da sprechen wir ja auch über Fakten. Im Booking werden männliche Künstler bevorzugt, die Vergütung von Frauen in der Branche ist schlechter – und in Führungspositionen findet man Frauen so gut wie nie.“

Sie selbst sei – als Künstlerin, die vom Videoclip über die Produktion bis zur Choreografie alles selbst macht – meist staunenden Blicken ausgesetzt gewesen, wenn sie dies zur Sprache gebracht hat: „Nach dem Motto: ‚Ach krass, das kannst du alles selbst?‘“ Dezidiert politisch werde sie deshalb wohl vor allem dann, wenn es um Politik in der Musikbranche geht. Sonst schwinge „das Politische eher unterschwellig mit“.

Ein möglichst durchschnittliches Frauenideal verkörpern, gut aussehen, darum gehe es im Biz. Für ihr Album-Artwork – auf dem Cover ist ein großes Porträtfoto einer geschminkten Balbina – habe sie auch Hass und Häme in den sozialen Netzwerken abbekommen. „Ich lösche das inzwischen, wenn es diskriminierend ist oder fremdenfeindlich. Oder ich frage zurück, ob die Leute die Welt mit ihrem Hass belästigen müssen. Ich habe keine Lust mehr, das zu ignorieren.“

Balbina hat gelernt, die Ellbogen auszufahren; sie stammt aus einer Szene, die zwar eine Männerdomäne ist, die sie aber immer als offen und zugänglich erlebt hat. Und in gewisser Weise ist sie dieser Subkultur treu geblieben. Das Album hat sie gemeinsam mit Benjamin Bistram („Biztram“) produziert, mit dem sie schon im Alter von 17 erste Aufnahmen im Jugendzimmer gemacht hat. Seither sind wieder 17 Jahre vergangen. Und Balbina ist eine Musikerin, die ziemlich solitär in der hiesigen Musiklandschaft dasteht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.