Mangelhafte Bildung: Von der Waldorf- zur Regelschule

Waldorfschulen sagen, man könne dort alle Abschlüsse erlangen. Doch Schulwechsel machen Lücken erkennbar.

Lehrerin mit Schüler:innen in einer Waldorfschule

Der Wechsel auf eine Regelschule kann bitter werden Foto: imago

Noch wenige Wochen, dann wird auch an Waldorfschulen wieder Abitur geschrieben.

Etwa drei Viertel der Wal­dorf­schü­le­r*in­nen streben das wohl an, und die Hälfte schafft es auch. Wie diese Zahlen genau erhoben wurden, ist mir nicht ganz klar. Was ich aber sicher weiß: Unter ehemaligen Wal­dorf­schü­le­r*in­nen gibt es teils sehr leidvolle Bildungsbiografien. Waldorfschulen werben gerne damit, dass alle Abschlüsse abgelegt werden können, aber wie viele Schü­le­r*in­nen die Waldorfschule vorzeitig verlassen, weil der angestrebte Abschluss nicht mehr realistisch ist, steht nirgends.

Aus meiner Klasse sind Kinder vor allem wegen Mobbings gegangen, aber auch wegen fehlender Förderung. Wie schwer der Wechsel schulisch für sie war, weiß ich nicht – unabhängig davon, dass man den gewohnten Alltag und Freundschaften verliert und nicht selten auch noch als Ver­rä­ter*in gebrandmarkt wird.

Lesen erst ab der 2. Klasse

Der Bund der Freien Waldorfschulen sagt: Wal­dorf­schü­le­r*in­nen, die „an eine staatliche Schule wechseln, haben in der Regel keine großen Schwierigkeiten mit der Umstellung“. Aha.

Ein Wechsel ist möglich, aber er braucht sehr viel Überzeugung, Ressourcen und Durchhaltevermögen

Immerhin sagt der Bund auch, dass der Lehrplan in einigen Fächern erheblich von den staatlichen Curricula abweicht. So sind etwa an Grundschulen, je nach Bundesland, in der ersten Klasse grob 250 Stunden vorgesehen, in denen lesen und schreiben geübt wird. An Waldorfschulen sind es wohl weniger als die Hälfte, und es wird nur schrei­ben geübt. „Das gezielte Üben des Lesens beginnt nach der ersten Schreibepoche im 2. Schuljahr.“ Erst zum Herbst oder in der Adventszeit soll dann ein Lesebuch eingeführt werden. Da Waldorfschulen traditionell nicht an den bundesweiten Vergleichsarbeiten VERA teilnehmen, weiß man nicht, wie es dann nach der vierten Klasse aussieht.

Ob Kinder beim Wechsel eine Klasse wiederholen müssen und wie schnell sie den Rückstand aufholen, ist individuell. Ab der zehnten Klasse ist eine Rückstufung aber kaum zu vermeiden, da Waldorfschulen den Mittleren Schulabschluss meist erst nach der elften oder zwölften Klasse anbieten. Ab der zwölften Klasse sammelt man an Regelschulen Punkte fürs Abitur – aber nur Waldorfschulen in Hessen und Hamburg haben staatlich anerkannte gymnasiale Oberstufen. Alle anderen bieten ein „Nichtschülerabitur“ an, bei dem nur die Ergebnisse der Abiturprüfungen zählen.

Regelschulen haben kaum Kapazitäten

Jemand in meiner Klasse hatte teils sehr gute Leistungen, aber große Probleme mit Russisch und konnte kein Abi machen, weil zwei Fremdsprachen vorgeschrieben waren. Da wundert es mich nicht, dass die Nachhilferate an Waldorfschulen mit 46 Prozent besonders hoch ist. Wer will mit 19 schon die Schule wechseln und zwei bis drei Jahre dranhängen? Wohl denen, die Geld für Nachhilfe haben.

Ein Wechsel ist möglich, aber er braucht sehr viel Überzeugung, Ressourcen und Durchhaltevermögen, auch weil die überlasteten Regelschulen selten die Kapazität und das Bewusstsein haben, was den aus einer kleinen Parallelwelt kommenden Schü­le­r*in­nen fehlt, und sie deshalb teils gar nicht erst aufnehmen.

Ich habe in der Abivorbereitung richtig gebüffelt, aber erst jetzt verstanden, dass ich trotz Abi­tur keine vergleichbare Allgemeinbildung habe und froh sein kann, dass alles geklappt hat. Das ist viel weniger selbstverständlich, als ich dachte.

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