Machtkampf in der Berliner SPD: Saleh verliert Parteivorsitz

Bei der Mitgliederbefragung zur künftigen Doppelspitze der Hauptstadt-SPD muss der bisherige Parteichef eine krachende Niederlage hinnehmen.

Das Bild zeigt SPD-Noch-Landeschef Raed Saleh

Raed Saleh steht seit Ende 2020 an der Spitze der Berliner SPD, nun muss er seinen Parteistuhl räumen Foto: Imago/Funke Foto Services

BERLIN taz | Raed Saleh wollte es noch mal wissen. Jetzt weiß er es. Lediglich 1.300 der etwas mehr als 18.000 Berliner So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen stimmten in der ersten Runde der Mitgliederbefragung der Landes-SPD dafür, dass der bisherige Parteichef Saleh im Amt bleibt.

Für Saleh, das langjährige Machtzentrum der Hauptstadt-SPD, ist das Ergebnis eine Klatsche der Sonderklasse. Er war gemeinsam mit der jungen und engagierten Ostberliner Bezirkspolitikerin Luise Lehmann angetreten. Und scheiterte überraschend deutlich. Im Rennen um die künftige Doppelspitze der Partei lag das Duo mit gerade mal 15,6 Prozent der abgegebenen Stimmen weit abgeschlagen hinter den konkurrierenden beiden Teams. Saleh und Lehmann sind damit raus.

Noch-Co-Parteichefin Franziska Giffey – sie hatte von vornherein entschieden, Ende Mai beim SPD-Parteitag nicht mehr anzutreten – sprach bei der Bekanntgabe der Ergebnisse am Samstagnachmittag von „einem sehr klaren Votum“, zu Recht.

Das Rennen gemacht haben vorerst Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel und Ex-Sportstaatssekretärin Nicola Böcker-Giannini vom rechten Parteiflügel. Auf die beiden Giffey-Vertrauten entfielen 48,2 Prozent – nur rund 150 Stimmen trennten die beiden von der absoluten Mehrheit, mit der sie schon nach diesem ersten Wahlgang den Vorsitz übernommen hätten.

Auf Platz zwei landeten Kian Niroomand und Jana Bertels. Der Kreischef von Charlottenburg-Wilmersdorf und die Ex-Vorsitzende der Berliner SPD-Frauen hatten als Ver­tre­te­r:in­nen des linken Flügels unter anderem die Unterstützung der Jusos. Sie kamen auf 36,1 Prozent und gehen gegen Hikel und Böcker-Giannini in einer zweiten Mitgliederbefragung Anfang Mai in die Stichwahl.

Hikel verkündet Beginn einer neuen Ära

„Dieses Ergebnis ist wahrlich ein Einschnitt“, sagte Martin Hikel, nachdem die Stimmen ausgezählt waren. Die Ge­nos­s:in­nen hätten sich „ganz klar“ gegen ein „Weiter-so“ und für „eine neue Ära“ entschieden, gab er dem Verlierer Raed Saleh noch einen mit. Ähnlich Konkurrentin Jana Bertels. Sie verwies darauf, dass die Parteimitglieder „ein Zeichen gesetzt“, hätten, „dass die SPD einen Neustart braucht, auch personell“. Egal welches Duo die zweite Runde für sich entscheidet: Den Wechsel wird es nun so oder so geben.

Zur Wahrheit gehört, dass die Beteiligung an der ersten Befragungsrunde mit 48 Prozent durchaus zu wünschen ließ. Insgesamt bequemten sich nur rund 8.570 So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen zu einer Stimmenabgabe per Brief, Urne oder online. Zur Erinnerung: Am SPD-Mitgliedervotum zum Koalitionsvertrag mit der CDU vor einem Jahr nahmen fast 12.000 und damit über 60 Prozent der damals 18.500 stimmberechtigten So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen teil.

Raed Saleh dürfte das wenig trösten. Bei der offiziellen Vorstellung der Ergebnisse vor der Presse waren er und Luise Lehmann nicht mal mehr dabei. „Selbstverständlich ist dieses eindeutige Ergebnis für uns persönlich enttäuschend, als Partei wird uns die baldige Klarheit aber insgesamt stärken und konzentriert zusammenführen und zusammenarbeiten lassen“, teilten die beiden am späten Samstagnachmittag schriftlich mit.

Dabei hatte sich Saleh in den vergangenen Wochen schwer ins Zeug gelegt, um seinen Ende 2020 übernommenen Posten an der Spitze der Landespartei zu verteidigen. Ein Interviewmarathon, Hintergrundgespräche mit Journalist:innen, Forderungen hier, Einigungen da: Der erklärte Lordsiegelbewahrer der Gebührenfreiheit von Kita und Schule ließ nichts unversucht, um in den Medien präsent zu sein.

Gebührendebatte hat Saleh nicht geholfen

Überhaupt die Gebührenfreiheit beziehungsweise das Konzept der vermeintlichen „Umsonst-Stadt“, wie Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini das von ihnen abgelehnte zentrale Politikprojekt von Saleh betitelten: Der Landeschef gab sich überzeugt, dass die vom rechten Duo angestoßene Debatte darüber nur ihm allein die Stimmen der SPD-Mitglieder zutreiben werde. „Uns hat das geholfen“, hatte Saleh noch vor zwei Wochen verkündet. Er hat sich getäuscht.

Nun könnte alles auf Hikel und Böcker-Giannini hinauslaufen. Eines war in der Sache von Un­ter­stüt­ze­r:in­nen der anderen beiden Duos zuletzt immer wieder zu hören: Sollten Hikel und Böcker-Giannini die künftigen Landesvorsitzenden werden, so wären sie nur „König:innen ohne Land“.

Schließlich, so die Erklärung, werde der restliche Landesvorstand von den mehrheitlich nicht unbedingt rechts tickenden Delegierten des Parteitags am 25. Mai bestimmt. Im Landesvorstand wären der Neuköllner Rathauschef und die Ex-Staatssekretärin fürderhin eingerahmt von Leuten aus dem Saleh-Lager und vom linken Flügel.

Klar ist aber auch, dass es für Saleh in seiner Funktion als Fraktionschef im Abgeordnetenhaus nun schwerer wird, seine Politik wie bisher einfach so und häufig ohne größere Absprachen durchzudealen. Die neuen Parteivorsitzenden können ihm jedenfalls auch ordentlich in die Parade fahren, so sie das wollen.

Gefragt, ob denn ihr Co-Chef nach der Pleite an der Basis überhaupt weiter Fraktionsvorsitzender bleiben wird, erklärte Franziska Giffey nur: „Das ist etwas, das in der persönlichen Hand von Raed Saleh liegt, wie er damit umgeht.“ Das Verhältnis der beiden gilt seit längerem als unterkühlt.

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