Krieg im Gazastreifen: Israel wehrt sich gegen Boykott

Die Türkei will den Handel mit Israel so lange stoppen, bis die israelische Regierung einem Waffenstillstand im Gazastreifen zustimmt.

Eine städtische Straßenszene

Preisschilder in einem Bekleidungsgeschäft. Die Inflation ist in der Türkei auf 70 Prozent gestiegen Foto: dpa

ISTANBUL taz | Die israelische Regierung wehrt sich gegen einen Handelsboykott der Türkei. Am Wochenende kündigte die Regierung Benjamin Netanjahu an, Beschwerde bei der Industriestaatenorganisation OECD einzureichen, weil die Türkei am Donnerstagabend gedroht hatte, den gesamten Handel mit Israel auszusetzen. Dies solle so lange gelten, bis Israel einem Waffenstillstand im Gazakrieg zustimmt und die Menge der humanitären Hilfe in den Gaza­streifen signifikant erhöht wird.

Israels Wirtschaftsminister sagte, Präsident Recep Tayyip Erdoğan sei ein „antisemitischer Diktator“, der mit dem Handelsboykott gegen internationales Seerecht verstoße und globale Lieferketten unterbreche. Das bezieht sich unter anderem auf israelische Ölimporte aus Aserbaidschan, die bislang über die Türkei liefen. Die OECD soll gegen die „wahnhafte Entscheidung“ vorgehen, die der gesamten europäischen Wirtschaft schade.

Tatsächlich ist ein Boykott des gesamten Handels mit Israel bislang ohne Vorbild. In den langen Auf und Abs der türkisch-israelischen Beziehungen hat es nie einen vollständigen Boykott gegeben, im Gegenteil. Auch wenn es schlecht zwischen den beiden Ländern lief, war der Handel noch so etwas wie die Lebenslinie der Beziehungen. Auch wenn sich Israel nun lautstark über die Aussetzung des Handels beschwert, trägt vor allem die türkische Wirtschaft den Schaden davon.

Das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern betrug 2023 rund sieben Milliarden Dollar. Dreiviertel davon waren türkische Exporte nach Israel, nur ein Viertel Importe aus Israel. Der sowieso stark kriselnden türkischen Wirtschaft wird diese Maßnahme deshalb sicher nicht helfen. Die türkische Wirtschaft hat mit einer anhaltenden Inflation von 70 Prozent zu kämpfen. Die Lebenshaltungskosten insbesondere für Lebensmittel sind im letzten Monat um 5 Prozent gegenüber dem Vormonat gestiegen. Devisen aus Exportgeschäften wären deshalb bitter nötig. Türkische Exporteure denken laut der Nachrichtenagentur Reuters bereits darüber nach, wie sie die Sanktionen umgehen können. Es ist die Rede davon, Exportgüter über den Balkan nach Israel zu schleusen.

Erdogan hatte lange gezögert

Die wichtigsten türkischen Exportgüter nach Israel sind Maschinen, elektrische Geräte, Fahrzeuge und Stahl. Wegen der wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen des Handelsboykotts für die Türkei hat Erdoğan lange mit diesem Schritt gezögert. Zunächst hatte es nur Handelsbeschränkungen für einige ausgesuchte Güter gegeben. Innenpolitisch war Erdoğan aber wegen dem Widerspruch zwischen seiner verbalen Verurteilung des Krieges im Gazastreifen und dem anhaltenden Handel mit Israel immer mehr unter Druck geraten.

Bei den für Erdoğan desaströsen Kommunalwahlen am 31. März hatte vor allem die islamistische Konkurrenz von Yeni Refah Erdoğans „Doppelmoral“ kritisiert und damit erhebliche Stimmengewinne erzielt. Für Erdoğan war es das erste Mal nach 20 Jahren Regierung, dass eine Abspaltung aus seinem eigenen ideologischen Lager rund 8 Prozent der Stimmen holen konnte. Außenpolitisch geht Erdoğan mit diesem Schritt allerdings ein erhebliches Risiko ein.

Nicht nur potenzielle Investoren aus den USA und Europa werden abgeschreckt, auch seine Versuche der Wiederannäherung an die EU und die USA könnten erheblichen Schaden nehmen. Sein Treffen mit dem US-Präsidenten Joe Biden, das eigentlich für den 9. Mai geplant war und Erdoğans erster Empfang im Weißen Haus seit Bidens Amtsantritt werden sollte, ist bereits gecancelt worden. Auch Verhandlungen zwischen der Türkei und der EU über eine Erweiterung der Zollunion könnten durch einen Handelsboykott mit Israel beeinträchtigt werden.

Erdoğan rechtfertigte seinen Schritt am Wochenende noch einmal damit, dass der Handelsboykott dazu beitragen solle, Druck auf Israel zu erzeugen, damit dieses einem Waffenstillstand mit der Hamas zustimmen und das Leid der palästinensischen Zivilisten dadurch gelindert werden könnte.

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