Kolumne Helden der Bewegung: Undeutsche Tugenden hinten links

Ballbehandlung wie ein Schaufelbagger, Lichtdouble eines Linksverteidigers, Magdeburg: über Marcel Schmelzer und seinen ganz besonderen Biss.

Zwei Mannschaftsärzte und Marcel Schmelzer

Auch ein Schmelzer kennt den Schmerz Foto: dpa

Über all die Jahre hat Borussia Dortmund viele Spekulationen über sich ergehen lassen müssen. Sein Personal war fortwährend Objekt fremder Begehrlichkeiten, immerzu wurden irgendwelche Namen mit irgendwelchen Vereinen in Verbindung gebracht. Keiner blieb verschont von den Fantasieauswüchsen in den Sportredaktionen.

Keiner außer einem, Marcel Schmelzer. Bei den anderen tauchten immer glamourösere Städtenamen mit in den Artikeln auf: München, London, Madrid. Bei Schmelzer immer nur Magdeburg. Da kommt er nämlich her.

Es ist einfacher, darüber zu sprechen, was der 29-Jährige alles nicht kann. Ballbehandlung wie ein Schaufelbagger, ein defensives Zweikampfverhalten, das man leise schmunzelnd als „hingebungsvoll“ bezeichnen könnte. Unter Druck sind seine Offensivaktionen oft derart schlecht durchdacht, sie könnten glatt von Michael Bay verfilmt werden. Flanken segeln durch den Abendhimmel, Explosion.

All das könnte man schreiben, wenn man spotten möchte. Denn Schmelzer hat keine echten Stärken. Entsprechend war er lange Zeit ein ungeliebtes Kind des Fußballs. Jogi Löw sagte über ihn einmal sinngemäß, dass er auf internationaler Ebene nichts zu suchen hätte, aber er stelle ihn trotzdem auf, er habe halt niemand anderen, hoffentlich lernt der irgendwann noch was dazu.

Es ist eine geradezu brachiale Unglamourhaftigkeit in Schmelzers Art; man sieht ihm noch an, dass er sich verbeißen muss

Im Grunde war Schmelzer das Lichtdouble für einen Linksverteidiger, den man sich erst noch hat backen wollen beim DFB. Auch an den Stammtischen wurde über ihn geschimpft, und wenn er doch gemocht wurde, dann, weil er schon früh in BVB-Bettwäsche schlief, weil er sich immer den Arsch aufriss, weil er nach schlechten Spielen häufig in der Kurve war: aus fußballfernen Gründen also. Sein Spiel war selten Grund für Lob.

Beste Spiele? Gegen Arjen Robben!

Diese Ablehnung ist seltsam, denn Marcel Schmelzer verkörpert die Tugenden, mit denen sich Deutschland so gerne schmücken würde. Bedingungslose Hingabe, Fleiß, Zuverlässigkeit, und nirgendwo dran klebt Glitter. Es ist eine geradezu brachiale Unglamourhaftigkeit in Schmelzers Art; man sieht ihm noch an, dass er sich verbeißen muss. Dieses Spiel ist ihm ein zäher Lappen Pferdefleisch. Das merkt man auch in Ausnahmesituationen: Schmelzer kann wie kaum einer dieses Eisenbeißer-Gesicht: Die andern schießen ein Tor? Scheißegal. Dann schießen wir vier.

Und wie oft das schon hingehauen hat! Eine typisch deutsche Redewendung lautet, das Glück sei mit den Tüchtigen, und natürlich passt sie zu Schmelzer. Erstes Spiel beim BVB, Regionalliga Nord gegen Arminia Bielefeld, erstes Tor. Erste Saison im Profikader, erstes Saisonspiel, Kreuzbandriss Dédé. Für den kam er dann, in der 72., als Legendenplatzhalter. Von da an vollführte er auf Dortmunds linker Seite, zusammen mit Großkreutz, eine Art Quadratschädelfußball, der es wunderlicherweise fertigbrachte, ebenso ungelenk wie ansprechend zu wirken.

Was natürlich wiederum deutlich undeutsch ist: Er hat etwas verstanden von diesem Spiel. Und er hat auch etwas davon verstanden, was er kann. Szenen, die andere besser können, vermeidet er. Er sieht häufiger nicht gut aus in Zweikämpfen? Dann geht er eben vorne drauf. Seine Füße tragen ihn nicht durch das Gewusel gegnerischer Abwehrbeine? Dann lässt er den Ball eben tropfen. Und wenn er doch in einen Zweikampf kommt und dabei versehentlich umfällt? Dann führt er ihn eben noch mal. Marcel Schmelzer beherrscht die Kunst der Vermeidung: Wenn andere etwas besonders gut können, dann bringt er sie nicht in die Situation, das zeigen zu dürfen. Regelmäßig macht er seine besten Spiele gegen Arjen Robben.

Klar, Schmelzer glänzt nicht, er ist keiner fürs Auge. Aber einer fürs Herz.

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