Illustration: Oliver Sperl

Klinik-Spezialisierungen in Deutschland:Der Zufall operiert

Würden Sie Ihr Kind von einem Chirurgen behandeln lassen, der das nur einmal im Jahr macht? Bei seltenen Fehlbildungen passiert das immer wieder.

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8.5.2024, 11:55  Uhr

Die Zimmerdecke über der Behandlungsliege ist himmelblau. Aber der kleine Junge schaut nicht zur Decke, sondern auf die Hände der Ärztin. Keine zwei Jahre ist er alt und lag schon oft auf solchen Liegen. „Lass mich mal gucken, mein Schatz“, sagt die Rostocker Kinderchirurgin Stefanie Märzheuser und zieht Henry* vorsichtig die Hose aus. Der Kleine jammert. „Sieht doch schon viel besser aus, dein Poloch“, sagt Märzheuser mit Blick auf die wunde Stelle.

Henry wurde ohne Analöffnung geboren. Betroffen ist eins von 4.000 Neugeborenen, rund 200 Kinder kommen jährlich in Deutschland mit Analatresie auf die Welt – eine sehr seltene Fehlbildung also. Henry wurde schon mehrfach operiert. Das allein ist nicht ungewöhnlich bei komplexen Fehlbildungen. Aber nach der Operation in einer anderen Klinik gab es Komplikationen, die neue Analöffnung sitzt nicht an der richtigen Stelle. „Dieser Fall“, sagt Märzheuser, „ist ein eindrückliches Beispiel, warum Erfahrung bei der Behandlung seltener Erkrankungen so wichtig ist“.

Analatresie ist eine von vielen komplexen Fehlbildungen, die bei Kindern bald nach der Geburt operiert werden müssen. Ob am Darm oder der Speiseröhre, der Blase oder dem Zwerchfell: All diese Korrektureingriffe werden höchstens ein paar hundert Mal im Jahr durchgeführt. Oft wird die Fehlbildung erst nach der Geburt erkannt und direkt in der Klinik operiert, in der das Kind auf die Welt gekommen ist. Nicht die Erfahrung der behandelnden Me­di­zi­ne­r*in­nen entscheidet über die Verteilung der Kinder. Sondern der Zufall.

Weil es so wenige Fälle sind, gibt es viele Krankenhäuser, die Kinder mit Analatresie und anderen seltenen Fehlbildungen nur einmal im Jahr operieren – oder noch seltener. Diese „Gelegenheitseingriffe“, sind ein Problem – das sagen Ver­tre­te­r*in­nen der Eltern, der Krankenkassen und aus der Gesundheitspolitik. „Schwere, angeborene Fehlbildungen werden zu oft von Personen operiert, die dafür nicht optimal qualifiziert sind“, heißt es zum Beispiel vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung.

Meist haben die Eltern kurz nach der Geburt weder Wissen noch Kraft, kritisch nachzufragen

In der Rostocker Kinderklinik trägt Stefanie Märzheuser den Arztkittel offen über der Jeans, die rosa-weiß karierte Bluse ist locker zusammengeknotet. Seit 2022 ist sie hier Direktorin der Kinderchirurgie, vorher war sie Oberärztin an der Berliner Charité. Kurz nachdem sie die Stelle in Rostock angenommen hatte, da sei ein Kind mit Fehlbildung am Gallengang eingeliefert worden. „Alle schauten mich an: ‚Das können Sie doch bestimmt auch‘, erzählt Märzheuser. „Es ist schwer, dann zu sagen, nein, da bin ich keine Expertin.“ Aber genau das sei notwendig.

Märzheuser ist Expertin für die Behandlung seltener Darmfehlbildungen, Hunderte Kinder hat sie operiert. Familien aus Polen, Libyen, Bangladesch kommen zu ihr. „Mein zweiter Vorname ist Darm“, sagt sie leise und grinst dabei.

Der kleine Henry hat sich inzwischen beruhigt und fährt ein rotes Spielzeugauto über den grauen PVC-Boden im Behandlungszimmer. Gleich links neben der Tür hängt ein Waschbecken. Auf dem Schreibtisch vor dem Fenster hocken ein Plüschfrosch, eine Eule und ein vielbespielter schlapper Esel. Auf dem Fensterbrett stehen Fotos von Kindern und Karten von Eltern. „Vielen Dank für ein besseres Leben“, ist auf einer geschrieben. Über Märzheusers Stuhl hängt ein Fußballschal. Den hat sie von einem Jugendlichen – als Dank für ein Leben ohne Stuhlinkontinenz.

Die Chirurgin spricht mit Henrys Mutter, die sich schwere Vorwürfe macht. Warum ist sie nicht früher in eine andere Klinik gegangen? In eine, die mehr Erfahrung hat? „Gehen Sie über die Station“, sagt Märzheuser, „unterhalten Sie sich mit anderen Eltern, Sie sind nicht die Einzige.“ Sie spricht mit ihr in einfachen Worten über komplizierte Dinge: innere und äußere Schließmuskel, Spülungen, die den Darm trainieren sollen. „Wir müssen arbeiten“, sagt Märzheuser. Die Korrektur-Operation, „der neue Popo“, werde erst der Anfang sein.

„Wird er irgendwann seinen Stuhl halten können?“, fragt die Mutter hoffnungsvoll. Märzheuser beugt sich zu ihr: „Ich weiß, was Sie gern hören würden, und ich würde es gern sagen. Aber wenn es dann nicht stimmt, dann ist das nicht gut.“ Sie könne gut operieren, aber nicht zaubern. „Es ist eine Fehlbildung, es fehlt etwas“, sagt sie der Mutter. Ob die Aussichten ohne die vorherigen Eingriffe besser wären, darüber spekuliert Märzheuser nicht. „Oft sind die Eltern ohnehin schon traumatisiert“, sagt sie, als der kleine Henry nach einer halben Stunde aus der Tür ist.

Illustration: Oliver Sperl

Viele dieser Eltern erfahren erst über Selbsthilfevereine, dass es einen Unterschied macht, wo ihr Kind behandelt wird. Für Kinder mit Fehlbildungen an Darm und Anus hat sich vor 35 Jahren der Verein SoMA gegründet. Heute vertritt er über 1.200 Betroffene und deren Eltern. Weil die Versorgungslücken so groß sind, ist der Verein auch politisch aktiv.

Meist hätten die Eltern, in einer emotionalen Notlage kurz nach der Geburt, weder Wissen noch Kraft, kritisch nachzufragen, erzählt Miriam Wilms von SoMA. Sie wollten und müssten erst einmal den Behandelnden vertrauen. „In diesem Moment des Schocks der Diagnose lassen Sie Ihr Kind doch nicht gegen den Rat des Kinderchirurgen verlegen“, sagt Wilms und spricht aus Erfahrung. Sie ist selbst Chirurgin, ihr inzwischen 4 Jahre alter Sohn kam mit einer Fehlbildung am Anus und am Herzen zur Welt. Beides musste zügig nach der Geburt versorgt werden, und die Qualitätsunterschiede seien immens gewesen.

Rund 3.000 Kinder werden im Jahr mit einem Herzfehler geboren, der operiert werden muss. In der Regel werden sie in einem der bundesweit 21 Herzzentren versorgt. Bei den seltenen Fehlbildungen an anderen Organen ist das Verhältnis viel ungünstiger. Beispiel Fehlbildung am Anus: Ein paar hundert Kinder verteilen sich laut SoMA auf 115 Kliniken. Gerade mal 25 dieser Kliniken operieren fünf oder mehr Kinder im Jahr. Rund 50 der 115 operierenden Kliniken behandeln nur ein oder zwei Kinder – in drei Jahren.

„Außer bei ganz schwierigen Fällen wird so gut wie nie verlegt“, sagt Wilms. Obwohl die meisten Kinder inzwischen gut stabilisiert werden könnten und eine sofortige Operation nicht notwendig ist. Es gebe auch kaum Spezialisierungen, wie sie in der Erwachsenenmedizin üblicher sind. „Kinderchirurgen operieren häufig alles, ihre Patienten haben nur eine Gemeinsamkeit: Sie sind unter 18“, sagt Wilms. Dabei könne gerade bei den vermeintlich einfachen Eingriffen so viel schiefgehen. Die erneuten Operationen seien dann umso komplizierter. Wenn die Eltern die Selbsthilfe kontaktierten, sei die erste Operation in der Regel schon gelaufen. „Das System ist hier in der Verantwortung“, sagt Wilms.

In Rostock kündigt Märzheusers Assistentin nach zwei Stunden Sprechstunde einen besonderen Patienten an. Eigentlich behandelt Märzheuser nur Kinder. Aber der Mann, der jetzt draußen vor der Tür sitzt, ist Mitte 50. Er wurde Ende der 1960er Jahre mit Morbus Hirschsprung geboren, eine seltene Fehlbildung am Darm. Über die Selbsthilfe hat er von den Fortschritten in der Behandlung erfahren, deswegen ist er jetzt hier.

Leistungsgruppen Die Finanzierung von Krankenhausbehandlungen soll künftig an Qualitätskriterien geknüpft werden. Dafür werden sie sogenannten Leistungsgruppen zugeordnet, für die Mindestvoraussetzungen (Anzahl jährlicher Behandlungen, technische und personelle Ausstattung) definiert werden. Nur Kliniken, die diese Voraussetzungen – innerhalb eines Übergangszeitraums - erfüllen, dürfen Behandlungen aus der jeweiligen Leistungsgruppe abrechnen. Komplexe Behandlungen – etwa bei Krebs, Schlaganfällen oder Gelenkersatz – sollen so anders als bisher nur in entsprechend ausgestatteten und erfahrenen Krankenhäusern erbracht werden. Die Einführung der Leistungsgruppen wird zur Zusammenlegung oder Schließung von Abteilungen oder ganzen Krankenhäusern führen – insbesondere in überversorgten Ballungsräumen. Allerdings machen auch jetzt schon regelmäßig Stationen und ganze Kliniken dicht - wegen finanzieller Schieflage oder Personalmangel. Dieses „kalte Kliniksterben“ soll die Reform verhindern.

Vorhaltepauschalen Damit trotz der Zentra­lisierung und Spezialisierung auch die auf dem Land notwendigen Grundversorger überleben, sollen Vorhaltepauschalen eingeführt werden. Bisher werden Kliniken nur für behandelte Fälle bezahlt, künftig durchschnittlich 60 Prozent der Kosten über diese Pauschalen abgedeckt.

Umsetzung Seit April liegt ein Referententwurf des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes vor. Die Länder forderten daraufhin eine umfassende Überarbeitung und Auswirkungs­analyse der Reform und drohten mit Klage. Neben Fundamentalkritik an der neuen Vergütungsystematik gibt es Streit über Ausnahmen, Übergangsfristen und Übernahme der Umbaukosten. Die Länder fürchten, dass ihr Einfluss auf die Krankenhausplanung untergraben wird. Auch von Kliniklobby und Krankenkassen gibt es Kritik. Bis Sommer soll das Gesetz durch den Bundestag, 2025 soll es in Kraft treten.

„Ich wusste 50 Jahre lang nicht, dass das noch jemand anderes hat als ich“, sagt der Mann, den wir hier Konrad Förster* nennen. Bei Morbus Hirschsprung fehlen die Ganglienzellen, Nervenzellen im Darm, ohne die der Stuhl nicht bis zum Ausgang transportiert werden kann. Bei einem totalen Morbus Hirschsprung ist der ganze Dickdarm betroffen, ohne Operation folgt der Darmverschluss. Förster ist einer der wenigen „Alten“ mit dieser Fehlbildung. In den 1960ern sind die meisten Babys mit totalem Morbus Hirschsprung gestorben. So wie der ältere Bruder von Förster, der nur wenige Monate alt wurde.

Förster hat sich eingerichtet: mit den Narben, die seinen Bauch durchfurchen – damals hat man noch nicht über den Anus operiert, sondern den ganzen Bauch aufgeschnitten. Mit einer Toilettenroutine, die seinen ganzen Tagesrhythmus bestimmt. „Wir können den Darm durch Spülen trainieren“, erzählt ihm Märzheuser. Das bedeutet: irgendwann nur noch ein Stuhlgang am Tag, mehr Freiheit. „Auch die Narben können wir noch hübsch machen“, sagt die Chirurgin, nachdem sie Konrad Förster untersucht hat. Er will es sich überlegen. „Falls Sie die Narben-OP machen“, sagt Märzheuser zum Abschied, „dann sagen Sie Bescheid, ich komme dazu.“

Als Konrad Förster aus der Tür ist, erzählt die Chirurgin von einer Zeit, in der es noch sehr viele Komplikationen bei der Operation von Morbus Hirschsprung gab. Die Pa­ti­en­t*in­nen wurden inkontinent, nicht selten ein entsetzliches Wundsein über Jahre hinweg, ein Krankenhausdasein in einer Zeit, in der die Eltern einmal in der Woche für eine Stunde zu Besuch kommen konnten.

Die Zeiten und Möglichkeiten haben sich geändert. Aber Komplikationen gibt es bis heute, trotz aller Fortschritte. Unter anderem, weil so schwer zu diagnostizieren ist, welcher Teil des Darms noch funktioniert, und weil ein Morbus Hirschsprung ganz anders operiert werden muss als andere Darmerkrankungen. Weil zu früh operiert wird und eben von Chirurg*innen, die so einen Fall einmal im Jahr sehen.

Noch heute gibt es immer wieder Leidenswege mit vielen Operationen. Ein Vierjähriger, schon 18-mal operiert, bevor er zu ihr kam; ein Anderthalbjähriger, 12-mal operiert: Märzheuser weiß noch die Namen, erinnert die Geschichten. Die Kinder selbst haben keine bewussten Erinnerungen an die schmerzvollen ersten Jahre. „Aber die Mütter weinen, wenn sie davon erzählen“, sagt die Kinderchirurgin.

Illustration: Oliver Sperl

Es gibt Zertifizierungen für Kliniken – auch für die Behandlung von Morbus Hirschsprung und anderen Fehlbildungen. Aber sie sind freiwillig und machten vor allem die guten Kliniken noch besser, sagt Miriam Wilms von SoMA. „Die Gelegenheitsversorger werden dadurch nicht davon abgehalten, weiter zu operieren.“ Bei Gelegenheitsversorgung könne keine Arbeitsroutine und ausreichende Erfahrung entstehen, mögliche Komplikationen würden häufig zu spät erkannt. Die notwendigen Nachsorgeprogramme anzubieten lohne sich nicht. Anders als in der Herzchirurgie misst sich der Erfolg der Behandlung bei diesen Fehlbildungen nicht vor allem im kurzfristigen Überleben. Sondern in langfristigen Parametern der Lebensqualität – Stuhl- oder Harninkontinenz, Sexualfunktionsstörungen. Deshalb lasse sich die Qualität der Kliniken schwerer vergleichen, sagt Wilms.

„Das Einzige, was gegen Gelegenheitseingriffe hilft, sind gesetzliche Maßnahmen“, sagt die Vertreterin der Selbsthilfe. Das Ziel von SoMA: eine Zentralisierung der Behandlungen in wenigen, besonders erfahrenen Kliniken. So dass Kinder, die mit Analatresie oder Morbus Hirschsprung geboren werden, künftig nur noch dort operiert werden, wo es zum Beispiel mindestens fünf Fälle im Jahr gibt. Die Hoffnungen sind groß, dass die Krankenhausreform dazu beitragen kann.

„Durch eine Konzentration von Leistungen in spezialisierten Kliniken und eine dadurch gesteigerte Behandlungsqualität könnten viele Lebensjahre gerettet und Todesfälle sowie unnötige Revisionsoperationen vermieden werden“, heißt es dazu passend im Entwurf der Krankenhausfinanzierungsreform aus dem Bundesgesundheitsministerium, der seit April vorliegt. Tatsächlich ist Zentralisierung eines der wesentlichen Ziele der Reform, um die seit über einem Jahr gerungen wird. Komplexe Eingriffe sollen nur noch dann bezahlt werden, wenn sie in dafür besonders ausgestatteten Krankenhäusern stattfinden. Denn Gelegenheitseingriffe sind auch in anderen Bereichen der Medizin ein Problem: beim Einsatz künstlicher Kniegelenke, bei Wirbelsäulenoperationen und Krebsbehandlungen zum Beispiel. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) betont gern, dass im europäischen Vergleich Deutschland zwar ein Spitzenreiter sei bei den Kosten fürs Gesundheitswesen, aber nur Mittelmaß in der Qualität.

In den kommenden Tagen soll im Kabinett über die Krankenhausfinanzierungsreform beraten werden. Im Hintergrund kämpfen die Bundesländer und Lobbyverbände um mehr Mitbestimmung. Mehr Zentralisierung bei komplexen Eingriffen wollen sie offiziell alle, aber über die Details gibt es erbitterten Streit: Wie konkret sollen die Vorgaben für die Qualität sein, welche Ausnahmen sollen gelten und wer zahlt für die Umbaukosten des Systems?

Was die Reform nun für die Kinder mit seltenen Fehlbildungen bringen wird? Zu derart detaillierten Fragen werde man sich im laufenden Verfahren nicht äußern, heißt es aus dem Bundesgesundheitsministerium. Bis zum Sommer will Karl Lauterbach das Reformgesetz durch den Bundestag bringen. „Zum aktuellen Zeitpunkt ist völlig unklar, ob und wie die Reform die besondere Situation von Kindern mit Fehlbildungen in Deutschland verbessert“, sagt Miriam Wilms von SoMA. Das komme auf die genaue Gestaltung der Qualitätskriterien an, vor allem auf die Verankerung einer Mindestfallzahl pro Klinik.

Miriam Wilms, SoMA, Betroffenenverband

„Aktuell ist völlig unklar, ob die Krankenhausreform die besondere Situation von Kindern mit Fehlbildungen verbessert“

Auch das bereits verabschiedete Transparenzgesetz ist Teil der großen Krankenhausreform: In einem Klinikatlas sollen ab 16. Mai Fallzahlen und Komplikationen je nach Eingriff und Klinik für alle einsehbar veröffentlicht werden. Auch hier ist noch unklar, ob Angaben zu den seltenen Fehlbildungen veröffentlicht werden. Wenn ja, dann könnten Eltern immerhin schon einmal vergleichen, wie viel Erfahrung die Kliniken mit dem jeweiligen Eingriff haben.

Falls die Krankenhausreform die seltenen Fehlbildungen nicht ausreichend berücksichtigt, setzt die Selbsthilfe auf eine Alternative: Das oberste Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, der Gemeinsame Bundesausschuss, kann gesetzliche Mindestmengen festlegen, an die alle Krankenhäuser gebunden sind. So dürfen zum Beispiel komplexe Eingriffe an der Speiseröhre bei Erwachsenen nur noch in Kliniken mit mindestens 26 Fällen im Jahr operiert werden. Auch für Gelenkersatz und einzelne Krebsbehandlungen gibt es bereits solche verbindlichen Mindestmengen. Um über die Festlegung einer neuen Mindestmenge zu beraten, brauche es Hinweise aus der Versorgung und Studien, die den Zusammenhang zwischen Fallzahl und Qualität klar belegen, heißt es vom Gemeinsamen Bundesausschuss. Aktuell seien keine Verfahren zu seltenen Fehlbildungen wie Analatresie und Morbus Hirschsprung geplant.

Bei der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie, die die Interessen der Kin­der­chir­ur­g*­in­nen vertritt, ist man skeptisch – sowohl was die Auswirkungen der Klinikreform als auch von gesetzlichen Mindestmengen betrifft. Zwar spricht sich auch die Fachgesellschaft „für eine Zentralisierung seltener Erkrankungen“ aus, wie Präsidentin Barbara Ludwikowski betont. Auch eine schrittweise Einführung von Mindestmengen sei denkbar. Aber wenn auf einmal nur noch wenige Kliniken bestimmte Eingriffe operieren dürften, dann würden diese Einrichtungen den Ansturm der Pa­ti­en­t*in­nen nicht bewältigen können. Auf die Frage nach der Notwendigkeit von Spezialisierungen heißt es von der Fachgesellschaft: Ein geübter Kinderchirurg könne durchaus auch verschiedene Fehlbildungen sehr gut operieren.

Bei SoMA ist man trotz aller Ungewissheit optimistisch, was die Veränderungen in der Fehlbildungschirurgie betrifft: Seit 20 Jahren kämpfe der Verein für mehr Zentralisierung. Aber die Chance, etwas zu ändern, sei noch nie so groß wie jetzt gewesen. Eine Zentralisierung, sagt Miriam Wilms, werde letztlich allen nutzen: den betroffenen Kindern und Eltern zuallererst, und das sei das Wichtigste. Aber auch einer neuen Generation spezialisierter Kinderchirurg:innen.

An der Tür von Stefanie Märzheuser in Rostock klopft es. Davor sitzt auf einer Bank ein Mädchen, 4 Jahre alt, mit seinen Eltern. Sie wollen nur schnell Hallo sagen, und Danke. „Seit Anfang des Jahres müssen wir nicht mehr spülen, keine Windel mehr“, sagt die Mutter. „You made my day“, ruft Märzheuser begeistert. Immer wenn solche Nachrichten kommen, „dann weiß ich, warum ich das mache und manchmal nachts nicht schlafe“.

*Namen der Pa­ti­en­ten wurden geändert

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