Hungerstreik fürs Klima: Ingenieur fordert Scholz heraus

Seit einem Monat isst Wolfgang Metzeler-Kick nicht mehr. Seine Forderung: Kanzler Scholz soll über die Klimakrise aufklären.

Eine Person protestiert mit einem Schild.

Aktivist Wolfgang Metzeler-Kick im Regierungsviertel in Berlin Foto: Sebastian Gollnow/dpa

BERLIN taz | Die Wangen fallen ein, das Gesicht wird schmaler. Die letzte feste Mahlzeit von Wolfgang Metzeler-Kick ist mehr als einen Monat her. Der 49-Jährige ist im Hungerstreik. Bis Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Regierungserklärung sagt, dass „der Fortbestand der menschlichen Zivilisation […] durch die Klimakatastrophe extrem gefährdet [ist]“, wird er nichts mehr essen. So steht es in einem Brief den Metzeler-Kick zusammen mit der Aktionskampagne „Hungern bis ihr ehrlich seid“ am 7. März am Bundeskanzleramt abgegeben hat.

Seitdem ist einiges passiert. Metzeler-Kick hat fast 15 Kilogramm verloren, in Richard Cluse einen Mitstreiter bei seiner radikalen Widerstandsform gewonnen. Rund 30 Ak­ti­vis­t:in­nen fasten seit vergangener Woche abwechselnd zwei Tage mit. Von Scholz hat Metzeler-Kick nur gehört, dass dieser besorgt sei, „wenn Menschen in den Hungerstreik träten“. Auf die gewünschte Regierungserklärung – das Ziel ihres Hungerstreiks – warten die Ak­ti­vis­t:in­nen noch.

Bis es so weit ist, harren sie mit ihren Un­ter­stüt­ze­r:in­nen im Spreebogenpark vor dem Bundeskanzleramt in Berlin aus. An der gleichen Stelle, an der 2021 aus einem Hungerstreik die klimaaktivistische Gruppe „Letzte Generation“ entstanden ist, haben sie Zelte und einen Infopoint aufgebaut. Noch trinken Metzeler-Kick und Richard Cluse täglich Saft mit Elektrolyten und Vitaminen. Aber Metzeler-Kick glaubt: „Ich werd den Saft weglassen müssen. Mir ist sowieso klar, dass ohne Eskalation nichts passiert.“

Metzeler-Kick war früher Ingenieur. Dann hat er eine Ausbildung in der Palliativpflege angefangen, bevor er sich dem Klimaaktivismus widmete. Er klebte sich auf die Straße und ließ sich wegtragen. Aber warum jetzt diese drastische Protestform? „Ich wüsste nicht, was ich sonst noch machen soll“, sagte Metzeler-Kick.

Bewusstsein von Sterblichkeit

Trotzdem sei er sich bewusst, dass sein Hungerstreik gefährlich ist: „Es werden Zustände auftreten, wo ich merke, dass ich sterblich bin.“ Um die Gesundheit nicht völlig zu vernachlässigen, wird der Hungerstreik von einem medizinischen Team begleitet. Jeden Tag messen sie Blutdruck und Puls, protokollieren das Gewicht. Alle zwei Tage kommt jemand ins Camp und untersucht die hungernden Aktivisten.

Die Sprecherin des Teams erinnerte sich, dass in der Vergangenheit Hungerstreikende etwa 50 bis 70 Tage überlebt hätten. Wann sollten die zwei Aktivisten dann aus medizinischer Sicht mit dem Hungerstreik aufhören? „Jetzt!“, sagt sie und zuckt die Schultern. Was soll sie machen? Die Sprecherin ist Oberärztin in der Intensivmedizin. Je länger der Hungerstreik dauert, desto nervöser wird sie. Schon ab der gerade begonnen Woche findet sie „das schon kritisch“.

Was passiert im Körper nach so langer Zeit ohne Nahrung? Die Funktion von allen Zellen werde eingeschränkt, sagt die Medizinerin. Eine schwere Infektion, eine Herz-Rhythmus-Störung oder ein Organ-Versagen wären die gefährlichsten Risiken: „Es ist schwierig, das dann gut zu behandeln.“ Sie selbst würde so eine Kampfform nicht wählen, aber sie könne die hungernden Aktivisten verstehen. Es sei wichtig, über die „Desillusionen der Klimapolitik“ aufzuklären: „Die wenigsten Menschen machen sich das so bewusst.“

„Mittel für die, die keine Mittel haben“

Die Kampagne „Hungern bis ihr ehrlich seid“ stützt sich auf Daten des UN-Weltklimarats. Dieser zeige auf, dass bereits jetzt die CO₂-Konzentration in der Luft viel zu hoch sei, sagt Metzeler-Kick. Für „einen Weg, mit dem die Menschheit die beste Überlebenschance hat“, müsse schon jetzt CO₂ aus der Atmosphäre gefiltert werden. „Wir müssen jetzt, wenn auch mit Jahren Verspätung, radikal umsteuern“, heißt es in den Forderungen der Kampagne. Für eine Politik, die sich dieses Problems annimmt, engagiert sich Metzeler-Kick seit 2021 aktivistisch. Bis auf Tomatensoße an Gemälden habe er jede friedliche Protestform ausprobiert, erzählt er.

Protestforscherin Lisa Bogerts ist nicht überrascht, dass sich die Kampagne als Teil der Klimabewegung für einen Hungerstreik entschieden hat: „Eine Bewegung ist erfolgreicher, wenn sie ein besonders diverses Repertoire an Protestformen hat.“ Denn so könne man das Thema immer wieder neu auf der „politischen Tagesordnung“ halten.

Vor allem der Hungerstreik habe dabei das Potenzial für eine starke öffentliche Wirkung. Zugleich sei er eine erschwingliche und leicht zugängliche Protestform, da nur der eigene Körper benötigt wird: „Es ist ein Mittel von denen, die sonst keine Mittel haben.“ Also beispielsweise für Metzeler-Kick, der der Meinung ist, alle sonstigen friedlichen Mittel ausgeschöpft zu haben.

Moralischer Druck

Bogerts hält die Forderung nach einer Regierungserklärung für relativ niederschwellig: „Es wäre ja prinzipiell machbar für Olaf Scholz, darauf einzugehen.“ Trotzdem: Es sei auch deutlich geworden, dass der Kanzler glaube, sich auch nicht erpressbar machen zu dürfen.

Ob der Hungerstreik in diesem Fall eine legitime Form des Protests ist, sei Ermessenssache, eine „normative Frage“, die nur von der Gesellschaft beantwortet werden könne. Deren Werte können sich – und damit auch den Blick auf die Legitimität eines Protest – wandeln, wie etwa die Bürgerrechtsbewegung in den USA gezeigt habe. Ob man tatsächlich juristisch von einer „Erpressung“ reden könne, hält sie nicht für ausgemacht. Schließlich wollten sich die Ak­ti­vis­t:in­nen von „Hungern bis ihr ehrlich seid“ nicht bereichern und schadeten auch nur sich selbst.

„Aber im moralischen Sinne baut es natürlich schon viel Druck auf, dem Ruf der Regierung zu schaden“, sagte Bogerts. Metzeler-Kick hat damit kein Problem: „Diese Form der Erpressung finde ich nicht unmoralisch!“ Er „erpresse“ Scholz nur, damit dieser die Wahrheit ausspreche. Der Kanzler hält sich weiterhin zurück, Regierungssprecher Steffen Hebestreit mahnte die Aktivisten nur, „der eigenen Gesundheit nicht zu schaden“.

Bis zum Ende gehen

Die Bundesregierung habe beim Thema Klimaschutz weitreichende Entscheidungen getroffen, so der Sprecher. Es gebe Hinweise, dass die Klimaziele 2030 erreicht werden könnten. Bundeskanzler Scholz werde seine Politik für den Klimaschutz fortsetzen, nicht aber konkreten einzelnen Forderungen folgen, „werden sie auch noch so nachdrücklich an ihn herangetragen“, betonte Hebestreit.

„Das liest sich zwischen den Zeilen so, als würde er mich sterben lassen“, sagt Metzeler-Kick. Dass Deutschland die Klimaziele 2030 erreichen könnte, glaubt er nicht: „Ich bin sauer aufgrund dieser dreisten Lüge.“ Der Sachverständigenrat für Umweltfragen habe vorgerechnet, dass die Emissionen für das Einhalten des 1,5 Grad Ziels aufgebraucht sind. Trotz der vorläufigen Absage zur geforderten Regierungserklärung bleibt Metzeler-Kick bei seinem Weg: „Wenn ich den zu Ende gehen muss, dann mache ich das!“

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