Die Wahrheit: Von und vom Vögeln

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (191): Der Frühling ist da – und das Federvieh balzt wieder in höchst diverser Pracht.

Das Foto zeigt die Köpfe eines Storchenpaars aus Brandenburg.

Beim Liebesspiel haben Störche oft einen Frosch im Hals Foto: dpa

Im Frühling liegt sexuelle Erregung in der Luft, folgen wir also den Vögeln, von ihnen kommt ja das Wort „Vögeln“. Für Darwinisten ist ihr „Sex“ kein Geheimnis: Die Männchen sind die Wahlkandidaten, die Weibchen die Wählerinnen. Wer ihnen gefällt, mit dem paaren sie sich. Der Akt dauert ein paar Sekunden, wird jedoch mehrmals wiederholt, die oft mühsame Balz zählt man dazu.

Diese „sexuelle Selektion“ evolvierte vor allem die männlichen Vögel, dass ihre Gefieder bunter und prächtiger wurden, ihre Stimmen schöner, ihre Tänze und Flüge beeindruckender. Die Weibchen wählten stets den in diesen Disziplinen Erfolgreichsten – den „mit den besten Genen“ (wobei sie an ihre Nachkommen dachten). Dieses „Fitness“-Schema wird nun bis zum Verdruss wiederholt.

Nach Kurt Tucholsky lässt sich die soziale Frage nur dadurch lösen, dass wir alle reich heiraten. Was in der menschlichen Gesellschaft noch eine Ausnahme ist, soll im Tierreich aber die Regel sein.

Überleben trotz Körperschmuck

Der Naturforscher Alfred Wallace, der mit Darwin für beider „Evolutionstheorie“ von der „Linnean Society of London“ geehrt wurde, hielt die „sexuelle Selektion“ für falsch und überflüssig. Sie war aber für Darwins Theorie wesentlich, wobei er sich auf besonders prächtige männliche Vögel bezog wie den Pfau und den Argusfasan. Die „Fittesten“ haben ein derartiges Prachtgefieder, dass darunter ihre „Fitness“ leidet. Ähnlich ist es bei den Paradiesvögeln, über die Darwin mit Wallace korrespondierte, der sie in Neuguinea studierte.

Dass bei so vielen Arten die Männchen üppigen Körperschmuck ausgebildet haben, der ihnen das Überleben erschwert, empfand Darwin als Schwäche seiner Theorie der „natürlichen Selektion“, die „ihn veranlasste, sein Konzept der sexuellen Selektion zu formulieren“, schreibt die Biologin Uta Skamel (in: „Die Theorie der sexuellen Selektion und ihre Bedeutung für die Evolution menschlicher Merkmale“, 2003). Sie spricht von „Wahl und Konkurrenz“ bei Darwin.

Wallace schrieb ih­m:­ Zwar gäbe es Schmuck, Gesang oder Werbungsverhalten und damit Konkurrenz zwischen Männchen, was man mit der natürlichen Selektion erklären könne, aber es gäbe keine weibliche Wahl, eine solche hatte er jedenfalls nirgendwo beobachtet. Gegen die Darwinsche Annahme wandte auch der Biologe Adolf Portmann ein, dass „vor allem die Beobachtung keine einwandfreien Beweise für eine Wahl seitens der Weibchen“ erbracht habe. Darwin hatte, wie auch viele andere Biologen, „zu rasch verallgemeinert“, wobei er „begreiflicherweise besonders beeindruckt war von Vögeln mit deutlichem Sexualdimorphismus (Unterschied zwischen Männchen und Weibchen)“.

Antikapitalistisch begatten

Dies gilt nicht für Krähen, die beide gleich aussehen. Dass deren Weibchen sich gerne mit zwei Männchen paaren, die sich an der Aufzucht der Jungen beteiligen, könnte man auch als „Fitness“ verstehen. Bei den Menschen sind anders als bei den meisten Vögeln die Frauen das „schöne Geschlecht“, während die Männer sich meist mit Bart und drei Adidas-Streifen begnügen. Beim Vögeln meinen mitunter beide, dass sie flögen.

Bei den wachtelähnlichen Laufhühnchen ist es wieder anders: „Bei ihnen trägt das größere Weibchen ein Prachtkleid, balzt vor dem Männchen und treibt sogar Vielmännerei“, wie der Herausgeber von „Grzimeks Tierleben“, Herbert Wendt, schreibt. „Das unscheinbar gefärbte Männchen hockt auf dem Boden und stößt leise, kläglich klingende Töne aus. Die Laufhenne rennt im Kreis um den Hahn herum, gurrt und brummt, pfeift und trommelt, trampelt und scharrt mit den Füßen, bis der Hahn ihren Werbungen nachgibt. Nach der Begattung legt sie mehrere Eier in eine Bodenmulde und überlässt dem Männchen das Brüten und die weitere Pflege der Kinder. Während der Hahn auf dem Gelege sitzt, tanzt sie längst um ein weiteres Männchen herum. Eine einzige Laufhenne kann auf diese Weise drei bis vier Männer nacheinander gewinnen und ebenso viele Nester anlegen.“

Auch bei Odins- und Thorshühnchen (siehe taz v. 8. 4. 2019) sind die Weibchen zur Balzzeit bunter als die Männchen. Auch sie umwerben die Männchen, die dann die Jungvögel aufziehen. „Darwin hatte gerade mit seinen imposantesten Beispielen, dem Pfau und dem Argusfasan, Pech“, schreibt der Tierpsychologe Heini Hediger, „hier gibt es keinerlei Wahl durch die Weibchen.“ Ähnlich sähe es bei den Männchen der Paradiesvögel, Webervögel und Seidenstare aus, die mitunter „ganz für sich allein balzen“. Kampfläufer balzten zwar in Gruppen, allerdings seien die „spektakulären Kämpfe“ der Männchen „harmlose Spiegelfechtereien“, außerdem nähmen die Weibchen keinerlei Notiz davon: „Nicht einmal hinschauen tun sie.“

Ihr Erforscher, G. Dennler de la Tour, beobachtete zudem, dass es – ganz antidarwinistisch – der unterlegene Kampfläufer ist, der, sobald er sich erholt hat, die Weibchen nacheinander begattet, während die Sieger davonfliegen. Das ist sozusagen antikapitalistisch – mindestens wenn man an die Marxsche Kritik der Evolutionstheorie denkt: „Darwin hat bloß das üble Verhalten der englischen Bourgeoisie auf die Tier- und Pflanzenwelt übertragen.“

Dumpfer als Darwin

Noch dumpfer als Darwin dachte die Genetikerin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard: Für sie gilt, dass „die Natur in gewisser Weise kapitalistisch funktioniert“. Und dass Vögel fast alle stinkbürgerliche Ehen führen, wenn auch meist nur für die Dauer eines halben Jahres. Uta Skamel geschichtsklittert: Obwohl die Argumente gegen Darwins Theorie der sexuellen Selektion nicht überzeugend waren, wurde sie dennoch zunächst abgelehnt, weil man „ideologisch, konzeptionell und methodologisch nicht bereit und in der Lage war, adäquat mit ihr umzugehen.“ Aber mit dem Feminismus ab den Sechzigerjahren des 20.Jahrhundert sei „die nötige Offenheit“ dafür geschaffen worden, schreibt sie. „Weibliche Individuen wurden nun nicht mehr nur in ihrer oft als selbstlos verstandenen Funktion als Mutter gesehen, sondern als individuelle Strateginnen, die ihre biologischen Interessen ebenso konsequent wie männliche Individuen verfolgen.“

Also wirklich wählen. Bis heute gäbe es eine „andauernde Phase intensiver Beschäftigung mit dem Konzept der weiblichen Wahl“. Das ist platter Biologismus, eher neigen heute die Jungmenschen dazu, ihr Geschlecht zu wählen.

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