Berliner Volksbühne gedenkt Pollesch: „Das ist eine Rückrufaktion!“

Die Berliner Volksbühne hat sich von ihrem verstorbenen Intendanten René Pollesch verabschiedet. Es war auch ein Abschied vom Diskurstheater.

Eine Tanzperformance vor Publikum beim Abschied von René Pollesch in der Volksbühne.

„Feier was du liebst“: Abschied von René Pollesch in der Volksbühne Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Seit Jahren fungiert das Banner auf der Volksbühnenfassade zuverlässig als Stimmungsbarometer. Nähert man sich dem legendären Berliner Theater vom Alexanderplatz her, kann man schon von Weitem sehen, wo der Belegschaft des Hauses der Schuh drückt. Zu Zeiten des Intendanten Frank Castorf stand da mal trotzig in Frakturschrift „Ost“, mal in riesigen Lettern „Zweifel“.

Als der Belgier Chris Dercon gegen den Widerstand der Belegschaft zum Intendanten ernannt wurde, hieß es „Pfusch“ oder „Ausverkauf“, zuletzt dominierten Botschaften zum Rechtsruck und zu Putins Ukrainekrieg. Seit dem Tod des Regisseurs und, seit 2021, Intendanten René Pollesch Ende Februar stand da „Danke René“. Zur Pollesch-Gedenkveranstaltung am Donnerstagabend dann also „Feier was du liebst“.

Liebe war allgegenwärtig, vor und im Theater: Bereits lang vor Veranstaltungsbeginn versammelte sich am Rosa-­Luxemburg-Platz ein treues Publikum, thea­ter­so­zia­li­siert oder neu entflammt von René Polleschs wüst-zärtlichem ­Diskurstheater.

Man tauschte Erinnerungen aus an prägende Aufführungen der letzten 25 Jahre wie „Stadt als Beute“ (2002) oder „Diktato­rinnengattinen“ (2007), versuchte (meist vergeblich), aus den genial-kapitalismuskritischen Wortkaskaden zu zitieren, die, von seinen Schau­spie­ler:in­nen atemlos ausgestoßen oder geschrien, so etwas wie Polleschs Markenzeichen waren: „Ich schau dir in die Augen, gesamtgesellschaftlicher Verblendungszusammenhang!“

Kitschig-schöne Popmomente

Einsamkeit im Wohlstand, die Suche nach Liebe in der Konsumgesellschaft, Sätze für die Ewigkeit, die gleich wieder untergingen in den folgenden Textmassen, und kitschig-schöne Popmomente – am Ende eines solchen Abends wankte man mit Summen in den Ohren, aber voller Euphorie aus dem Theater ins Berliner Nachtleben.

Während des Gedenkabends unter dem angemessen sperrigen Titel „Schmeiß dein Ego weg und feier was du liebst“ wurde sichtbar, wie integrierend Polleschs Theater auf die diverse Kulturszene der Stadt wirkte: Viele aus der queeren Community waren gekommen, ­gealterte Ostintellektuelle in strengem Schwarz, junges, bunt gekleidetes internationales Volk.

Der linke ehemalige Kultursenator der Stadt, Klaus Lederer, war da, die Autorin und Volksbühnen-Tochter Helene Hegemann, Sängerin Christiane Rösinger … „Es ist wie ein Abschied von der eigenen Jugend“, fasste ein Freund zusammen, der wie viele andere stundenlang am Computer gesessen hatte, um noch Karten für die restlos ausverkaufte Veranstaltung zu kriegen.

Trauerbewältigung auf Volksbühnenart

Drinnen war es dann wie früher: Man lungerte in den schummerigen Gängen, nahm Bier und Wein im Becher mit in den Saal. Der Theaterhimmel, der sich bauschte und senkte, war aus oranger Ballonseide, und Martin Wuttke monologisierte im Cowboyoutfit über „Selbstverwirklichungsscheiße“ und den gepflegten Meinungsaustausch auf Sofas. In den folgenden drei Stunden betrieben Polleschs Stamm­schau­spie­ler:in­nen und das Publikum gemeinsame Trauerbewältigung auf Volksbühnenart, das heißt laut und ohne Angst vor Pathos.

Fabian Hinrichs rannte ziellos im Kreis umher, „Streets of Berlidelphia“ singend: „Es fehlt mir was, es reicht mir nicht.“ Martin Wuttke, Milan Peschel und Trystan Pütter fielen in roten Strampelanzügen slapstickhaft auf den Hintern, stopften sich Kartoffeln in die Hose und verhedderten sich im Mikrofonständer, als sei ihnen mit ihrem Regisseur jegliche Schauspielkunst abhandengekommen.

Katrin Angerer klagte, tragikomisch, wie nur sie es kann, über das Drama, das ihr nun fehle, und Sophie Rois führte einen Chor keifender Witwen an, die sich über den Castingprozess beschwerten und fanden, da könne man auch gleich eine Kuh auf die Bühne stellen. Und da kam sie auch schon, eine echte Kuh, von einem Bauern auf die Bühne geführt, und schaute sehr, sehr verloren ins Publikum.

audiovisuelle Überwältigung

An Emotionen fehlte es nicht, weder auf noch vor der Bühne: Es gab Anrufungen des Jenseits („Dies ist eine Rückrufaktion!“) und „Jesus Christ Superstar“-Einlagen, verstiegene Weltallmetaphern und ohrenbetäubenden Sound – die audiovisuelle Überwältigung gehörte schließlich zu jedem gelungenen Pollesch-Abend dazu.

Florentina Holzinger und ihre Tanzcrew performten unten ohne im Matrosenlook für ihren von Bord gegangenen Käpt’n, Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow sparte beim Singen von „Im Zweifel für den Zweifel“ nicht an Pathos, und im Zuschauerraum wurde hemmungslos geheult.

Getränkedosen wurden aus Handtaschen gezogen, auf der Bühne wurde geraucht, geflucht und im Chor „We’ll Meet Again“ angestimmt. Am Ende half alles nichts, es war vorbei. Man ging ergriffen aus dem Haus, erfüllt von einer Theaterära, die, das lag den ganzen Abend über in der Luft, am Rosa-Luxemburg-Platz endgültig zu Ende ging.

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